Eingebettet zwischen Bodensee und den Schweizer Alpen liegt die nach dem heiligen Gallus benannte, 80000 Seelen fassende Stadt St. Gallen. Man kennt sie vor allem wegen ihrer eindrucksvollen Stiftsbibliothek, die mit dem gesamten Stiftskomplex seit 1983 zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört. Doch der Ort im Vierländereck hat noch weit mehr zu bieten als jahrhundertealte Manuskripte.

Es begab sich zu der Zeit, als die Ufer des Bodensees noch von dichtem Urwald gesäumt waren. Ein wackerer Wandermönch namens Gallus hatte sich zusammen mit seinem Gefährten Hiltibod aufgemacht, dem Lauf des Flusses Steinach zu folgen. Als sich die beiden zur Nachtruhe gebettet hatten und Hiltibod bereits eingeschlafen war, erschien plötzlich ein mächtiger Bär an ihrer Schlafstätte. Gallus zeigte keine Furcht und befahl dem Bären, im Namen des Herren ein Stück Holz ins Lagerfeuer zu werfen. Dieser tat wie ihm geheissen. Als Dank gab Gallus dem Bären einen Laib Brot – unter der Bedingung, dass er sich nicht mehr blicken liesse. Und so geschah es auch, das Tier verschwand. Gallus entschied sich, an dieser Stelle eine Eremitenklause zu erbauen. Aufgrund dieser Legende wurde der aufrechtstehende schwarze Bär das Wappentier von St. Gallen.

Im Jahr 719, gut 100 Jahre nach dem Tod von Gallus, errichtete der alemannische Priester Otmar zu dessen Ehren eine Abtei, die er St. Gallen nannte. Sie wurde Zufluchtsstätte für irische Gelehrte und Künstler, die in ihrem Heimatland unter der Verfolgung der Wikinger zu leiden hatten. Zwischen 816 bis 926 war die Blütezeit des Benediktinerklosters. Im dortigen Skriptorium wurden zahlreiche wertvolle Handschriften verfasst und auch auf dem Gebiet der Buchmalerei gehörte das Kloster zu den führenden des Abendlands. Hier entstanden Werke wie „Der Folchart-Psalter“ oder „Der Goldene Psalter von St. Gallen“. Zur Fürstabtei gehört auch der barocke Bibliothekssaal, der zwischen 1758 und 1767 entstand. Der prunkvolle Raum mit reicher Deckenstuckatur darf – zum Schutz des wertvollen Holzbodens – nur mit Filzpantoffeln betreten werden. Auch sollte man der spätbarocken Stiftskirche mit der imposanten Doppelturmfassade einen Besuch abstatten.

Begibt man sich hernach in die St. Gallener Innenstadt, so fallen einem in den Gassen sofort die vielen prunkvollen Erker ins Auge, die typisch für die Stadt sind. Insgesamt 111 sind es an der Zahl. Sie zeugen vom einstigen Wohlstand der dort ansässigen Bürger und Kaufleute. Der skulpturale Schmuck berichtet von ihren Reisen um die Welt. Da die Stadt auf sehr weichem Torfboden entstand, wurden viele Gebäude zum Schutz vor dem Absinken auf Holzpfählen errichtet.

Betritt man die nur wenige Gehminuten vom Hauptbahnhof entfernte Stadtlounge, wähnt man sich fast in Hollywood am Dolby-Theatre, wenn nicht gar in Moskau – denn auf dem gesamten Boden des Platzes befindet sich ein Teppich aus rotem Kunststoffgranulat. Der Rote Platz entstand 2005 als Gemeinschaftswerk der Schweizer Künstlerin Pipilotti Rist und des Schweizer Architekturbüros Carlos Martínez. Am Abend tauchen die über der Lounge schwebenden Lichtobjekte den Platz sowie einen als Klettergerüst zweckentfremdeten und ebenfalls mit rotem Granulat versehenen Porsche in ein weiches Licht.

Möchte man noch mehr farbenfrohe zeitgenössische Kunst bzw. Architektur geniessen, so ist die Markthalle Altenrhein das richtige Ziel. Sie ist das letzte Bauwerk, das der österreichische Maler Friedensreich Hundertwasser schuf. Die Fertigstellung der Halle im Jahr 2001 konnte der Künstler selbst nicht mehr miterleben. Auch Gallus hätte an dem ungewöhnlichen Gebäude mit Sicherheit seine Freude gehabt.

Ihr seht, St.Gallen ist mehr als eine Reise wert!